Ich heisse Julia G. und will die Welt retten


Es ist Montag morgen 8.30 Uhr. Der Wecker klingelt bereits das dritte mal. Ich sollte aufstehen und loslegen, denn heute will ich die Welt retten. Das Wochenende war anstrengend, die Nacht kurz und ich drehe mich nochmals um.

11.00 Uhr. Ich checke meine 148 Emails. Dann ruft Anna an und dichtet mich voll. Sie hat wieder Stress mit ihrem Freund Wolle. Leute lasst mich einfach in Ruhe. Es ist noch früher Morgen. Ich will zuerst einmal wach werden.

Mein Magen knurrt. Jetzt sollte ich doch mal einkaufen. Seit Tagen schon ist der Kühlschrank gähnend leer. Nicht einmal Milch für den Kaffee gibt es. Dann trinke ich ihn eben schwarz und mit viel Zucker.

Es ist jetzt 12.30 Uhr. Der Supermarkt an der Ecke hat noch bis 14.00 Uhr geschlossen. Solange halte ich das nicht durch und bestelle die Pizza beim Lieferservice, selbstverständlich fleischfrei. Das Geld leihe ich von Karin, meiner Nachbarin und schnorre nebenbei noch eine Zigarette. Seit gut einer Woche rauche ich nicht mehr doch der heutige morgen war bereits tierisch stressig. Ich muss jetzt erst einmal fett entspannen.

Das Telefon klingelt wieder. Was wollt ihr alle von mir. Ich bin noch nicht fit für diesen Tag.

Die Occopy-Bewegung fordert mehr als nur meine Solidarität in Facebook. Es ist 17.30 Uhr und die Ortsgruppe trifft sich in einer halben Stunde. Aber irgendwie fühle ich nicht wohl. Die Kopfschmerzen kommen sicherlich vom vorhergesagten Wetterumschwung und überhaupt macht diese graue Suppe da draussen erst depressiv.

Peter nervt am Telefon er braucht dringend die Aktionsplakate. Ich kann nicht, ziehe den Stecker und kümmere mich zuerst einmal um mich.

So viel Stress. Leute lasst mich doch alle mal in Ruhe. Die Welt ist auch noch morgen zu retten. Ich kann jetzt nicht. Meine Serien starten gleich und die will ich keinesfalls verpassen.

Ich zappe von „Bauer sucht Frau“ zu den glamourösen „Geissens“ und dann übergangslos zu den Spätnachrichten im Zweiten. Der Kastortransport rollt unaufhaltsam in Richtung Zwischenlager in Gorleben. Tut was Leute. Ich kann nicht überall sein. Tunesien hat seine ersten freien Wahlen, Libyen feiert den Sieg über Gadaffi während in Syrien das Militär wahllos auf Demonstranten schiesst. Ich hasse Gewalt.

Wer hilft den Griechen, wenn nicht wir, aus der Pleite. Portugal und Spanien wackeln sehr bedenklich. Und wann tritt endlich dieser italienische Clown Berlusconi ab? Das Triple-A ist ernsthaft in Gefahr. Nicht so zögerlich Frau Merkel. Die wundersame Geldvermehrung durch eine Hebelung soll fantasievolle Euro-Billionensummen bringen. Europa ist in einer ernsthaften Krise.

Für Augenblicke überkommt mich die Angst. Ich möchte nicht alleine sein, wenn die Welt morgen schon aus den Fugen gerät und wir allesamt in das Disaster stürzen. Ich telefoniere mit Alex, der gerade von einer Antifa-Demo zurückkommt. Er lässt mich spüren: die Welt braucht mich dringender den je. Ich schnorre mir nebenan noch eine Zigarette und atme tief durch.

Was für ein Tag heute. Jetzt muss ich erst recht entspannen. Es ist nach Mitternacht. Retten kann ich die Welt auch noch morgen. Und warum überhaupt ich?